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Eine Tour durch das Erz­bis­tum Paderborn

Wahr­neh­men. Ken­nen­ler­nen. Men­schen tref­fen. Vie­le Men­schen erzäh­len mir, was sie bewegt und umtreibt: die Sor­ge über das, was in ihren Gemein­den vor Ort nicht mehr mög­lich ist. Frust über die schwin­den­de Rele­vanz von Kir­che. Hilf­lo­sig­keit, wie man damit umge­hen soll. Unsi­cher­heit und auch Angst ange­sichts der poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Kri­sen: Krie­ge, wirt­schaft­li­che Sor­gen, der brö­ckeln­de Zusam­men­halt in unse­rer Gesell­schaft, popu­lis­ti­sche Irr­lich­ter mit unsäg­li­chen Bot­schaf­ten. Was wird kom­men? Wie wird es wer­den? Aber das ist nur die eine Sei­te. Bei mei­ner Tour durch das Erz­bis­tum, bei den Schul­be­su­chen und den Gesprä­chen mit den jun­gen Leu­ten, bei mei­nen Besu­chen in cari­ta­ti­ven Pro­jek­ten und in der Begeg­nung mit den zahl­rei­chen enga­gier­ten Ehren­amt­li­chen erzäh­len die Men­schen auch viel über ihre Erwar­tun­gen. Sie machen ermu­ti­gen­de Erfah­run­gen und spre­chen dar­über. Ich habe Pro­jek­te ken­nen­ge­lernt, in denen Hoff­nung gelebt wird. Zum Bei­spiel „Raum vor Ort“, ein Bil­dungs­pro­jekt im Nor­den von Dort­mund für Fami­li­en mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Oder das Hos­piz im Sie­ge­ner Land, in dem Men­schen, die dem Tod ent­ge­gen­ge­hen, spü­ren dür­fen, dass sie gehal­ten, getra­gen sind und nicht allein und im Stich gelas­sen wer­den. Es gibt ganz vie­le sol­cher Orte in unse­rem Erz­bis­tum. Ich habe eine jun­ge Frau im Edith-Stein-Berufs­kol­leg erlebt, die mir gesagt hat: „An die­ser Schu­le habe ich das ers­te Mal Mut zum Ler­nen und damit auch Mut für mein Leben gewon­nen.“ Ich war unter­wegs auf Pil­ger­we­gen, und es gab einen wun­der­ba­ren Got­tes­dienst in Elke­ring­hau­sen in der Zelt­kir­che, in dem wir im gemein­sa­men Beten gespürt haben, was unse­re Hoff­nung aus­macht. Unter­wegs bin ich mit Men­schen zusam­men­ge­kom­men, die über Hoff­nung erzählt haben. Eine Gemein­de­re­fe­ren­tin mein­te: „Hoff­nung bedeu­tet für mich, dass ich eigent­lich nie auf­ge­ben möch­te und die Visi­on habe, dass es irgend­wann gut wird.“ Eine Sozi­al­ar­bei­te­rin hat die Hoff­nung: „… dass wir mutig in die Zukunft gehen. Kei­ne Angst vor Ver­än­de­rung haben. Vor­wärts­ge­hen und nah bei den Men­schen sind. Auf die­sem Weg. Gera­de da, wo es weh­tut. Wo Kon­flik­te sind. Wo Men­schen in Armut leben. Wo Men­schen Angst haben. Und wir Hoff­nung spen­den kön­nen.“ Und ein jun­ger Mann – ein Mess­die­ner – erzähl­te mir: „Ohne Hoff­nung kann ich mir das gar nicht vor­stel­len.“ Für die­se Erfah­run­gen bin ich dank­bar. Ich habe erlebt, was es hei­ßen kann, eine „Erzähl­ge­mein­schaft der Hoff­nung“ zu sein. Das ist Kir­che: eine Erzähl­ge­mein­schaft der Hoffnung!

Unter­wegs in sich ver­än­dern­den Zeiten

Das kom­men­de Jahr 2025 ist als Hei­li­ges Jahr aus­ge­ru­fen. Es beginnt mit Weih­nach­ten. Papst Fran­zis­kus hat es mit dem Leit­wort „Pil­ger der Hoff­nung“ über­schrie­ben. Kir­che ist pil­gern­des Volk Got­tes. Unter­wegs in sich ver­än­dern­den Zei­ten. Nicht fest­ge­fah­ren, son­dern in Bewe­gung. Was macht Hoff­nung? Wer gibt Hoff­nung? Ist es Jesus Chris­tus? War­um haben wir allen Grund, mit dem Evan­ge­li­um mit mehr Hoff­nung auf die Zukunft zu bli­cken? Wie steht es um unse­re Ver­ant­wor­tung, den jun­gen Men­schen einen Weg in eine gute Zukunft zu ermög­li­chen? Des­halb heißt mein ers­tes Bischofs­wort an die Men­schen im Erz­bis­tum Pader­born: Mut zur Hoff­nung. Ger­ne möch­te ich mich mit Ihnen gemein­sam auf einen Weg machen, der es ermög­licht, Mut zur Hoff­nung zu schöpfen.

Das Evan­ge­li­um macht Hoffnung

Hoff­nung braucht einen Grund. Grund­los hof­fen wäre naiv und nur Opti­mis­mus. Was ist der Grund unse­rer Hoff­nung? Gibt es die ganz gro­ße Hoff­nung, die alles ande­re über­bie­tet? Für uns Chris­tin­nen und Chris­ten: ja. Die­se Hoff­nung hat ein Gesicht und einen Namen: Jesus Chris­tus. Weih­nach­ten steht vor der Tür: das Fest der Geburt Jesu. Über die­ses Kind in der Krip­pe sagen die Engel: Er ist der Ret­ter. Und weiter:

SIEHE, DAS WIRD EUCH EIN ZEICHEN SEIN.
IHR WERDET EIN KIND FINDEN,
DASIN WINDELN GEWICKELT -
IN EINER KRIPPE LIEGT.“
(Lk 2,12)

Nicht nur die Hir­ten damals, son­dern auch unzäh­lig vie­le Men­schen, die durch die Jahr­hun­der­te hin­durch zu einer Krip­pe gepil­gert sind, haben beim Anblick des Kin­des in der Krip­pe neue Lebens­hoff­nung geschöpft. „Das Reich Got­tes ist nahe!“ Mit die­ser Bot­schaft zog Jesus durch Gali­läa und hat eine Wel­le der Hoff­nung aus­ge­löst. Mit Hei­lun­gen und Zei­chen, mit Gleich­nis­sen und Bil­dern hat Jesus Men­schen auf­ge­rich­tet, Stig­ma­ti­sier­te zurück in die Gemein­schaft geholt, Schul­dig­ge­wor­de­nen Ver­söh­nung ermög­licht. Das Evan­ge­li­um zeigt, wie Jesus Mut zum Leben macht. Die Erzäh­lun­gen zei­gen, was mög­lich wird, wenn wir unse­re Hoff­nung auf Gott set­zen. Die Erin­ne­rung an damals, wie Gott für sein Volk gesorgt und es nicht im Stich gelas­sen hat, ist der Grund, war­um wir hof­fen kön­nen: Auch heu­te lässt uns Gott nicht im Stich. Auch heu­te sorgt er für uns. Die Erin­ne­rung ist eine Schwes­ter der Hoff­nung! Sich an die Heils­ta­ten Got­tes zu erin­nern, eröff­net Per­spek­ti­ven für die Zukunft. Dar­auf hof­fe ich. Dar­an glau­be ich. Und in die­ser Hoff­nung soll­ten wir ein­an­der stär­ken! Wo wir Men­schen an unüber­wind­li­che Gren­zen sto­ßen, hat Gott unge­ahn­te Mög­lich­kei­ten. Sogar die Hoff­nungs­lo­sig­keit des Lebens schlecht­hin – der Tod – wird über­wun­den durch den Glau­ben an den Auferstandenen!

Lebt man mit Hoff­nung anders?

Die­se ganz gro­ße Hoff­nung, von der wir Chris­tin­nen und Chris­ten leben und die unse­re klei­nen, all­täg­li­chen Hoff­nun­gen „in der Spur hält“ (Papst Bene­dikt XVI.), ist kein Beru­hi­gungs­mit­tel, um nicht in Panik zu gera­ten. Ganz im Gegen­teil! Mar­tin Luther hat es mit einem kur­zen Satz auf den Punkt gebracht: „Alles, was in der Welt erreicht wur­de, wur­de aus Hoff­nung getan.“ Und Papst Bene­dikt schreibt in sei­ner Hoff­nungs­en­zy­kli­ka: „Wer Hoff­nung hat, lebt anders“ (Spes sal­vi, N. 2). Hoff­nung akti­viert. Sie bringt uns in Bewe­gung. Ein hoff­nungs­vol­ler Mensch war­tet nicht schick­sals­er­ge­ben ab. Der Gra­ben zwi­schen der Wirk­lich­keit, wie sie nun ein­mal ist, und der Hoff­nung, wie sie von Gott her sein könn­te, soll­te unser Antrieb sein, uns zu enga­gie­ren, anders zu leben. Hoff­nung will etwas ändern. Hoff­nung hat aber auch Geduld. Denn Geduld ist eben­so eine Schwes­ter der Hoff­nung. Das bedeu­tet nicht, taten­los abzu­war­ten oder zu mei­nen, die Din­ge wür­den sich schon von selbst ändern. Der hoff­nungs­vol­le Mensch arbei­tet gedul­dig, aber mit Nach­druck dar­an, damit sich Din­ge ändern. Er lässt nicht locker. Und: Zur Hoff­nung gehört Mut, Din­ge aus­zu­pro­bie­ren. Zur Hoff­nung gehört aber auch die Sou­ve­rä­ni­tät, Sack­gas­sen, in die man gera­ten ist, zu ver­las­sen und neue Wege zu pro­bie­ren. Üben wir uns in die­se Grund­hal­tun­gen ein: nüch­tern sehen, was ist. Ver­schlie­ßen wir nicht die Augen davor, wo wir tat­säch­lich im Erz­bis­tum Pader­born ste­hen: mit dem pas­to­ra­len Per­so­nal, mit den seel­sorg­li­chen und kate­che­ti­schen Anstren­gun­gen, mit dem Ehren­amt. Was geht und was schon lan­ge nur noch mit Mühe oder – wenn wir ehr­lich sind – gar nicht mehr geht. Zeit für Inven­tur in unse­ren Gemein­den, Gre­mi­en, Ver­bän­den und pas­to­ra­len Orten! Betäu­ben wir dabei aber nicht die Trau­er über den Ver­lust, die damit ein­her­geht! Los­las­sen tut wirk­lich weh. Dar­an kom­men wir nicht vor­bei. Dafür braucht es eine gute Sen­si­bi­li­tät. Las­sen wir uns aber auch nicht läh­men. Wenn wir von unse­rer Hoff­nungs­bot­schaft über­zeugt sind, wer­den wir nicht müde, nach neu­en Wegen zu suchen, Ideen zu ent­wi­ckeln, die Fro­he Bot­schaft zu leben und zu bezeu­gen, statt den Ver­lust zu bekla­gen. Die­se Hal­tung erhof­fe ich mir von mög­lichst vie­len! Es geht nicht um den Selbst­er­halt der Kir­che. Es geht um die Sen­dung der Kir­che zu den Men­schen. Dafür lohnt es sich, etwas zu wagen und Wege auch aus­zu­pro­bie­ren. Brem­sen wir nicht von vorn­her­ein neue Initia­ti­ven. Sagen wir nicht: Das bringt doch eh nichts. Ver­trau­en wir dar­auf, was der Pro­phet Jesa­ja über das Wort Got­tes sagt:

ES KEHRT NICHT LEER ZU MIR ZURÜCK,
SONDERN BEWIRKT, WAS ICH WILL,
UND ERREICHT ALL DAS,
WOZU ICH ES AUSGESANDT HABE.“
(Jes 55,11)

Über­for­dern wir uns aber auch nicht gegen­sei­tig. Gestal­ten wir die Zukunft so, dass wir auf die­sem Weg mög­lichst vie­le mit­neh­men. Dazu braucht es klu­ge Unter­schei­dung und ein gutes Gespür, aber auch Hart­nä­ckig­keit und Mut, tat­säch­lich kon­kre­te Schrit­te zu gehen. Das geschieht nicht im Allein­gang. Ich erhof­fe mir, dass alle, die Ver­ant­wor­tung tra­gen, die Bereit­schaft mit­brin­gen, mög­lichst vie­le Men­schen auf die­sem Weg zu betei­li­gen. Ich will noch einen Aspekt hin­zu­fü­gen: Christ­li­che Hoff­nung hofft nie nur für sich selbst. Chris­ten sind kei­ne Hoff­nung­s­ego­is­ten. Wir hof­fen immer „für alle“ und „auch für die ande­ren“. Des­halb gehört zur christ­li­chen Hoff­nung auch die Bereit­schaft, Ver­ant­wor­tung für die Gesell­schaft zu über­neh­men, Ver­ant­wor­tung für die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, für das Gemein­wohl aller. Wir tra­gen mit­ein­an­der Ver­ant­wor­tung für das gemein­sa­me Haus, für die Schöp­fung, für Frie­den, für Gerech­tig­keit. Ich erhof­fe mir, dass wir als Kir­che von Pader­born uns nicht zufrie­den­ge­ben mit einer bie­der­mei­er­li­chen Selbst­ge­nüg­sam­keit. Unser Platz ist nicht die Sakris­tei, son­dern die Welt! Des­we­gen hof­fe ich, dass wir mit Krea­ti­vi­tät, mit Mut und mit Gott­ver­trau­en für die Men­schen Hoff­nungs­or­te schaf­fen. Dass wir Pro­jek­te und Initia­ti­ven ent­wi­ckeln, spi­ri­tu­el­le Kraft­or­te stär­ken, damit wir glaub­wür­di­ge und ermu­ti­gen­de Botin­nen und Boten der Hoff­nung für all die Men­schen sein kön­nen, mit denen wir zusam­men­le­ben! Denn: Eine Bot­schaft braucht Boten. Eine Hoff­nungs­bot­schaft braucht Hoffnungsboten.

Werk­zeu­ge der Hoffnung

Auch wenn wir als Kir­che klei­ner und zah­len­mä­ßig wei­ter weni­ger wer­den, ich gebe die Hoff­nung nicht auf, dass wir mit der rich­ti­gen Hal­tung auch künf­tig wirk­sam sein kön­nen. Nicht die Zahl ist ent­schei­dend, son­dern die Hal­tung, mög­lichst vie­len Hoff­nung geben zu wol­len. Die Bil­der Jesu vom Reich Got­tes sind alle­samt Bil­der, bei denen Weni­ges Gro­ßes bewir­ken kann: das Senf­korn, das zum gro­ßen Baum wird. Der Sau­er­teig, der alles durch­säu­ert. Das Salz, das allem die Wür­ze gibt. Mit die­sem Wort zum neu­en Kir­chen­jahr möch­te ich uns ein­stim­men auf das Hei­li­ge Jahr. Und das wün­sche ich mir auch für uns im Erz­bis­tum Pader­born, dass wir uns auf einen Weg machen und in Bewe­gung kom­men. Aus­schau hal­ten nach Orten, an denen wir Hoff­nung erfah­ren und erle­ben. Dass wir zu Botin­nen und Boten der Hoff­nung wer­den und das The­ma Hoff­nung wie ein roter Faden durch all das erleb­bar wird. In der nächs­ten Zeit wird Monat für Monat ein beson­de­rer Hoff­nungs­ort in unse­rem Erz­bis­tum vor­ge­stellt wer­den: Da sind man­che Orte dabei wie ein Hos­piz oder ein Gefäng­nis, die man viel­leicht zunächst mit Hoff­nungs­lo­sig­keit in Ver­bin­dung brin­gen wür­de. Es sind aber Orte, an denen Men­schen mit beson­de­rer Sehn­sucht nach Hoff­nung zusam­men­kom­men. Die­se Hoff­nungs­or­te sol­len Inspi­ra­ti­on und Krea­ti­vi­tät anre­gen, denn ich bin mir sicher: Es gibt so vie­le Orte und Gele­gen­hei­ten in unse­rem Erz­bis­tum, wo Hoff­nung nicht nur gepre­digt, son­dern auch erlebt wer­den kann. Ein älte­rer Mann erzähl­te mir beim Pil­gern: „Also, Hoff­nung bedeu­tet für mich, dass es uns gelingt, die Bot­schaft Chris­ti in Han­deln umzu­set­zen. Und dass ich das noch erle­ben kann.“ Wenn es uns gelingt, nicht nur zu einer Erzähl­ge­mein­schaft, son­dern auch zu einer Erfah­rungs- und Erleb­nis­ge­mein­schaft der Hoff­nung zu wer­den, dann sind wir auf dem rich­ti­gen Weg!

Fürch­tet euch nicht!

Weih­nach­ten steht vor der Tür. An die­sem Fest fei­ern wir den Grund unse­rer Hoff­nung: Gott wird Mensch und teilt unser Leben. Die Hoff­nungs­bo­ten der Weih­nacht schlecht­hin sind die Engel auf den Fel­dern von Beth­le­hem, die uns sagen: „Fürch­tet euch nicht!“ Es stimmt schon, was Alfred Delp in der Weih­nachts­zeit 1944 inmit­ten der größ­ten Not und Bedräng­nis schreibt: „Man muss die Segel in den unend­li­chen Wind stel­len, dann erst wer­den wir spü­ren, wel­cher Fahrt wir fähig sind.“

Dr. Udo Mar­kus Bentz
Erz­bi­schof von Paderborn

Quel­le: Erz­bis­tum Paderborn