Liebe Mitchristen!
Die Qual der Wahl haben wir wahlberechtigten Bürger an diesem Sonntag. Dabei nehmen wir sowohl unser Wahlrecht als auch unsere staatsbürgerliche Pflicht wahr.
Und es ist in der Tat eine Pflicht, die uns Christen in besonderer Weise zukommt. Zwar sind wir Christen nach Auffassung des Apostels Paulus nicht „von der Welt“, sehr wohl aber in der Welt. Von der Welt unterschieden haben sich die Christen schon in der Antike. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Christentum in seiner Frühzeit als „der neue Weg“ bezeichnet worden ist. Denn das praktische Leben der Christen unterschied sich in auffallender Weise vom Leben der heidnischen Antike. Während das Heidentum zwischen Glaube und praktischem Lebensvollzug kaum einen inneren Zusammenhang sah, und es nur darauf ankam, den staatlich verordneten Götterkult zu praktizieren und damit das Wohlwollen der Götter gegenüber dem Staat sicherzustellen, war es im Christentum anders. Der Glaube hatte eine zutiefst persönliche Bedeutung, auch für die Gestaltung des Lebens und das ethisch richtige Handeln. Glaube, Glaubensleben und die Konsequenzen für die eigene Lebensgestaltung waren und sind eine Einheit.
Das hat auch Konsequenzen für die Gestaltung der Politik. Denn in der politischen Gestaltung geht es um grundsätzliche Fragen: z.B. Freiheit, Verantwortung, Würde der menschlichen Person, innerer und äußerer Friede, Bewahrung der Schöpfung, das soziale Wohl und die den Geboten Gottes entsprechende Entwicklung der menschlichen Gemeinschaft. Das alles sind zutiefst religiöse Fragen, die wiederum zutiefst politische Fragen sind. Deshalb sind Christen aufgerufen, das politische Leben einer Gesellschaft aus christlicher Verantwortung mitzugestalten und eine spezifisch christliche Auffassung von Mensch und Gesellschaft in die politische Debatte einzubringen. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen. Sei es durch das persönliche Engagement in politischen Parteien, in der öffentlichen Debatte zu gesellschaftlich relevanten Themen, zumindest aber in der Wahrnehmung des Wahlrechts, worin die Mitverantwortung für das allgemeine Wohl und die Mitgestaltung der Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Bei dieser Mitgestaltung haben wir als Christen unsere Sicht aller gesellschaftlich relevanten Themen zu bedenken und deutlich zu machen, dass politisches Handeln nicht nur innerweltlichen Maßstäben zu genügen hat, sondern auch vor Gott verantwortet werden muss.
Aus diesem Grund darf ein religiöser Mensch kein unpolitischer Mensch sein. Wir Christen sind Teil dieser unserer Gesellschaft und dürfen uns und unsere christlichen Positionen nicht hinausdrängen lassen. Nutzen wir also die Möglichkeit, unseren Staat und unsere Gesellschaft mitzugestalten, indem wir von unserem Wahlrecht Gebrauch machen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Pastor Peter Niestroj
Pastor Peter Niestroj