Advent — schon wieder?
Advent! Alle Jahre wieder – schon wieder? So wird manch einer vielleicht denken! Und so stellt sich zu Recht die Frage, welche Bedeutung wir diesem Zeitabschnitt denn nun beimessen. Ohne ihn inhaltlich zu füllen, können wir nur Folgendes sagen: Dass sich diese Zeit im Kirchenjahr aus dem lateinischen „adventus“, was Ankunft heißt, ableitet. Im Grunde ist sie aber eine Wartezeit, eine Zeit der Vorbereitung, die aktiv gestaltet sein will. Um das im christlichen Sinn zu können, müssen wir uns über den Sinnkontext klar werden. Worum geht es also?
Jesus sagt im Evangelium des Lukas: Wenn alles bricht, wenn unsere Erwartungen nur noch aus Befürchtungen bestehen, wenn kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint, wenn es überall kracht und kriselt, wenn alles wie eine riesige Welle über uns hinweg zu schwappen scheint und uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht, dann stellt euch aufrecht! Wenn rund um dich herum alles mit den Zähnen klappert, wenn sich die Angst mehr als breit macht und es nach dem Eindruck, den das macht, in den Untergang geht, dann richte dich auf, stell dich hin! Dann geht es der Vollendung, der Lösung, dem Leben in Fülle entgegen. Vermutlich hat die Gemeinde des Lukas die Zerstörung der Stadt Jerusalem erschütternd erlebt. Dass Gottes Stadt dem Erdboden gleich gemacht, dass der Tempel von Heiden zerstört, dass alle Verheißungen und Zusagen damit gleichsam Lügen gestraft sind, das setzt den Menschen zu. Das macht sie fertig. Das erschüttert sie bis ins Mark, gerade auch ihren Glauben, die Wahrheit von Gottes Zusage und seiner Verheißung betreffend „ich bin bei euch“. Und da sollen sie aufschauen, nach Zukunft, nach dem Retter, dem Erlöser Ausschau halten? Da sollen sie nicht verzweifeln, sondern wie markante Säulen dastehen, die ein starkes „Trotzdem“ leben, die hinter und trotz alledem um einen Gott und um ein Leben wissen, das das stärkste Erdbeben, die gewaltigste Flut, der brutalste Sturm nicht auslöschen oder zerstören kann. Ja, denn dann, so kündet uns Lukas, steht Heil ins Haus. Dann geschieht Begegnung mit dem Retter, dem Heiland, der seine Menschen herausholt aus dem Untergang, herausreißt aus der Gewalt des ewigen Todes, befreit von den Grenzen der Leiblichkeit, und hinein birgt in ein unvorstellbares, alles Bisherige in den Schatten stellendes Leben. So beginnt die Kirche den Advent. Sie sagt uns: Was du für dich und die Menschen und die Welt erwarten darfst, das ist nicht Katastrophe, auch wenn dich das Leben momentan unglaublich beutelt. Was du erwarten darfst, das ist Leben, das ist der Lebendige, das ist eine Dimension, die du nicht planen, eine Hoffnung, die du nicht groß genug denken, eine Liebe, die einfach umwerfend ist. Und das gilt – auch für den Augenblick deiner vielleicht größten Erschütterung, die Zeit deines Sterbens … Denn: Das wird das Ereignis deiner Vollendung sein! Und warum soll ich das feiern, wo mir doch mehr auf Weihnachtsvorbereitung der Sinn steht? Warum soll ich mich mit einem solchen Szenario überhaupt beschäftigen? Warum soll ich jetzt plötzlich zulassen, was ich sonst so erfolgreich verdränge? Warum soll ich mir die glänzende, und oft oberflächliche Stimmung der Adventfeiern und vorweihnachtlichen Stunden in einem anderen Licht erscheinen lassen?
Zum einen, weil es sich um unsere Lebenswirklichkeit handelt. Zum anderen, weil eine Zeit des Heils, des Heilens, des Geheiltwerdens anbricht. Es geht im Dunkel um Licht. Es geht in der Hoffnungslosigkeit um neues Leben, dargestellt im kommenden Retter Jesus Christus. Es geht in einer Phase, in der die Zeichen doch wirklich auf größte Schwierigkeiten und gewaltige Turbulenzen stehen, um Menschen, die Hoffnung haben, begründet, und über eigene Kraft hinaus. Es geht um Zeugen, die für den Gott stehen, der alles in der Hand hat und der das Leben will, der uns herauslöst aus Bedrängnis und hinein nimmt in sein Leben, der Menschsein gelingen lässt, trotz aller Bedrohung … Jesus hat das von Geburt an erlebt, erlitten und erfahren. Und er war so einer, der in der Brandung von Hass und Zerstörung der Auf-Gestandene geblieben ist, aufgestanden für die Liebe, für seinen Vater, für die Menschen. An ihn dürfen wir uns hängen und Tag für Tag ganz unterschiedlich bekennen, erleben, genießen, erfahren, was wir an Weihnachten singen werden: Der Retter ist da!
Ihr Pastor Thomas Kubsa