Dirk Salzmann, Pfarrer
Liebe Schwestern, Brüder und Mitmenschen!
Vor einigen Tagen erhielt ich eine Mail mit der Frage nach Argumenten für ein Bleiben in der Kirche. Seit längerer Zeit begleite ich einen Menschen, der zwischen dem Bleiben und dem Austritt ringt. „Christen flüchten aus der Kirche“, war in der Zeitung zu lesen. Wie geht es Ihnen in und mit der Kirche?
Ich bin sehr dankbar für Menschen, die mich an ihren Zweifeln und ihrer Wut teilhaben lassen und mich in ihre Entscheidungen einbeziehen. Und trotz der Kontaktbeschränkungen ist ein Gespräch per Mail oder Telefon möglich. Aber gibt es derzeit Argumente für ein Bleiben? Wäre es nicht an der Zeit ein Zeichen zu setzen und den Austritt zu erklären? Ich verstehe die Gründe, die sehr viele Frauen und Männer zu einem Austritt veranlassen — gleichzeitig bin ich mit der Entscheidung nicht einverstanden. Was aber kann ich und können Sie anbieten?
Zunächst uns selbst mit unserem Glauben. Sie und ich können Halt anbieten, indem wir im Gespräch und in Beziehung bleiben. Sie und ich können Gemeinschaft anbieten, indem wir die Zweifel und die Zerrissenheit aushalten. Sie und ich können konkrete Hilfe anbieten, indem wir uns von der Not ansprechen lassen und ins Handeln kommen. Sie und ich können jeder und jedem Achtung geben, indem wir den Menschen, unabhängig seiner Lebensform oder seiner Herkunft, mit Wertschätzung begegnen. Sie und ich können wahrhaftig leben, indem wir vor Gott und den Menschen ehrlich bleiben.
Es gibt eine geistliche Betrachtung, die möglicherweise nicht leicht anzunehmen ist. Sie kennen die Erzählung vom barmherzigen Samariter im Lukasevangelium (Lk 10,25–37).
Gerne wird im Überfallenen der andere Mensch gesehen oder ich sehe mich selbst in ihm. Ich sehe mehr und mehr in ihm die Kirche, die von Ängsten, toxischer Macht und Glaubensverlust überfallen wurde und wird. Es wäre ein Leichtes, sie zurückzulassen oder an ihr vorbeizugehen. Wer helfen will, sollte keine Angst vor Wunden haben, denn sie gilt es anzuschauen, um sie zu versorgen. Es geht um die Wunden in den Menschen und auch um die wunden Punkte in den Strukturen. Bleiben, um für eine Kirche im Licht des Evangeliums einzutreten. Eine Kirche, in der alle willkommen sind, vielgestaltig und gemeinschaftlich, frei von jeglicher Gewalt und Diskriminierung, lebendig im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Dafür bleibe ich … und Sie?
Mit einem Gebet von Jörg Nottebaum zur Misereor Fastenaktion 2022 schließe ich meinen Impuls.
Aufstand im Namen Gottes
Heil werden
sollen die von der Kirche Verletzten und von Gott Geliebten
Froh werden
sollen die von der Kirche Enttäuschten und von Gott Ermutigten
Mitte werden
sollen die von der Kirche Ausgegrenzten und von Gott Geschaffenen
Gestärkt werden
sollen die von der Kirche Entmutigten und von Gott Gesegneten.
Selig sind die Verletzten,
Weil sie aufstehen und davon erzählen
Selig sind die Enttäuschten,
weil sie aufstehen und Wahrheit reden
Selig sind die Ausgegrenzten,
weil sie aufstehen und einander Heimat geben
Selig sind die Entmutigten,
weil sie aufstehen und Unmögliches wagen im Namen Gottes, Amen.
Eine gesegnete Zeit und bleiben wir im Gespräch und verbunden im Gebet!
Ihr Pfarrer D. Salzmann